DrogenGenussKultur |
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Kiffen dürfen reicht nicht oder: |
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4. Vom Nutzen der SuchtDie Frage nach dem Nutzen der Sucht kann man grundsätzlich in zwei Varianten
stellen. Erstens kann man fragen, wem es nützt, süchtig zu sein. Eine zweite Frage scheint entscheidender,
nämlich wem es nützt, daß andere süchtig sind. Die erste Frage läßt sich leichter beantworten. Sich selbst
als süchtig zu bezeichnen, nützt zunächst einmal all denen, die glauben, daß ihnen durch diese Selbstdefinition
Hilfe zuteil wird. Sie können entweder tatsächlich das Gefühl haben, daß eine Substanz oder Tätigkeit
sie dermaßen beherrscht, daß sie ohne professionelle Hilfe keine Chance sehen, sich aus diesem als unangenehm
empfundenen Zustand zu befreien. Die Selbstdefinition als süchtig eröffnet dann den Zugang zu eben dieser
Hilfe, und zwar sowohl in professioneller (therapeutische Hilfe) als auch in finanzieller Hinsicht (Abrechnung
über die Krankenkasse). Die Selbstetikettierung als süchtig nützt aber auch jenen Personen, die sie betreiben,
um in erster Linie als krank angesehen zu werden. Denn krank zu sein, kann durchaus als angenehm empfunden
werden: man muß nicht zur Arbeit und hat damit mehr Zeit für sich selbst, bekommt andererseits aber auch
(oder überhaupt nur so) mehr Zuwendung aus seinem sozialen Nahfeld; zudem ist man als Kranker aber auch
ein gutes Stück aus der Verantwortung für seinen eigenen Zustand entlassen, braucht Unmotiviertheiten,
emotionale Ausbrüche oder Schwächen nicht umständlich erklären. Rückzüge in die Krankheit nützen manchen
aber vielleicht auch dann, "wenn aktive Veränderungen von Lebensbedingungen und die dafür notwendige
›Lebendigkeit‹ [...] aussichtslos und unmöglich erscheinen. Insofern sind sie auch als ritualisierte
Verdeckung sozialer Konflikte zu interpretieren." 50 Komplexer ist die Frage, wem es nützen könnte, andere Leute als süchtig zu bezeichnen.
Ohne an dieser Stelle eine ausführliche Interessenanalyse der herrschenden Suchtpolitik betreiben zu
wollen und zu können, seien doch einige Nutznießer der Suchtdramaturgie benannt. Zunächst läßt sich
sagen, daß Sucht Teil jenes ideologischen Komplexes ist, der die herrschende, weitgehend auf Zwang und
Repression focussierte Drogenpolitik legitimieren soll. Neben einem moralisch verwerflichen, staatsbedrohenden
Bild des Drogenhändlers im Besonderen und der Organisierten (Rauschgift-)Kriminalität im Allgemeinen
sowie dem Konsens eines gesellschafts- und gemeinschaftszerstörerischen Drogenkonsums ist es vor allem
der Rekurs auf die Dramatik der Sucht, der die staatlichen Agenturen befähigt, immer neue und härtere
Gesetze, Verordnungen und Maßnahmen zu beschließen: Kleiner und großer Lauschangriff, härtere und längere
Strafen, mehr und besser ausgerüstete Polizeibeamte, Vermögensstrafe und beschleunigte Abschiebemöglichkeiten,
dies alles wird nur allzu häufig mit Verweis auf Drogenkriminalität und die damit immer assoziierte Sucht
gerechtfertigt. Die Gefängnisse, vor allem auch die Untersuchungs- und Jugendgefängnisse werden immer
noch zu einem großen Teil von Menschen bevölkert, die im Zusammenhang mit Drogenkonsum verurteilt wurden.
Das ganze Drogenproblem ist, wie es Nils Christie und Kettil Bruun 51 Vor allem aber hat sich ein feinmaschiges Helfernetz etabliert, das gewebt ist aus hoch-, mittel- und niedrigschwelligen Drogenberatungsstellen und Drogenhilfevereinen, aus Drogenambulanzen und Methadonbussen, aus Streetworkern, Betriebssuchtberatern und substituierenden ärzten, aus stationären und ambulanten Therapieeinrichtungen für Männer und Frauen, für Jugendliche und Kinder, für Straffällige und Prostituierte, für Schwule und Lesben, für Eltern von süchtigen Kindern und für Kinder von süchtigen Eltern. Dazu kommen nicht zuletzt ganze Heerscharen von Wissenschaftlern der unterschiedlichsten Professionen, die das mutmaßliche Drogen- und Suchtproblem bis in die aller entlegendsten Regionen der Welt, des Körpers und der Seele verfolgen, es analysieren, zergliedern und sezieren, es de- und wieder rekonstruieren. Alle diese unzähligen Personen und Institutionen profitieren von der Dramaturgie der Sucht, verdienen Geld, erlangen Reputation und Anerkennung. Und je größer dieser Sektor wird, desto deutlicher unterstreicht er die mutmaßliche Größe des Problems, zu dessen Bekämpfung wiederum neue, bessere und größere Truppen ins Feld geführt werden müssen. Zurück bleiben die sogenannten Betroffenen, vor allem freilich die Konsumenten illegaler
Drogen, die man nahezu jeder Autonomie und Fähigkeit entkleidet. In den Worten vieler ihrer selbsternannten
Helfer sind sie nicht fähig, ihre Belange selbst zu regeln, sie sind weder kommunikationsfähig noch arbeitsfähig
noch selbständig wohnfähig noch überhaupt "sozialfähig", sie sind nicht wartezimmerfähig in Arztpraxen
und nicht haftfähig im offenen Vollzug, sie sind nicht beziehungsfähig und schon gar nicht fähig zu
selbstbestimmter Freizeitbeschäftigung, und schließlich sind sie häufig noch nicht einmal abrechnungsfähig
gegenüber vorrangigen Sozialleistungsträgern. Ihre unbestrittenen Fähigkeiten liegen vor allem darin,
behandelt oder bestraft werden zu können. 52 Der neueste Akt des Suchtdiskurses ist das, was häufig als "Die neuen Süchte" oder die
"Inflation der Süchte" beschrieben wird, und was einige Autoren dazu veranlaßte, von einer "Gesellschaft
von Süchtigen" zu sprechen, von "Suchtgesellschaft", von "Versüchtelung" oder ähnlichem. Ein Blick in
das neue Suchtpanorama scheint alle Befürchtungen zu bestätigen: Es ist die Rede von Fernseh-Sucht,
Arbeits-Sucht (workaholic), Konsum-Sucht, Eß- und Brech-Sucht (Bulimia nervosa; 53 Gleichwohl sollte man diese Inflation der Süchte nicht nur als eine Katastrophe betrachten,
sondern ganz im Gegenteil und pradoxerweise in ihr gerade auch die Hoffnung der Suchtpolitik erkennen.
Denn wenn man unter Inflation die "Entwertung des Geldes durch starke Ausweitung des Geldumlaufs ohne
entsprechende Erhöhung der Produktion" 57 Im Rahmen der heutigen Drogenideologie, die Rausch und Sucht nicht nur gleichsetzt, sondern derzufolge die Sucht aus dem Rausch nahezu zwangsläufig erwächst, kann und darf es nicht um ein Recht auf Sucht gehen, sondern um ein Recht auf Genuß und Rausch. Wenn man gleichwohl von einem Recht auf Sucht sprechen will, dann sollte es jenes sein, daß die Entscheidung, sich selbst und nur sich selbst als süchtig zu bezeichnen, bei dem betroffenen Individuum liegt. Nur ein so verstandenes Recht auf Sucht sichert zugleich das Recht auf Genuß und Rausch und das Recht auf Hilfe.
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