Drogen, Politik und Polizei

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1.4. Cannabis: Delikte und Tatverdächtige in Deutschland

Im Jahre 1999 wurden 221.921 "Rauschgiftdelikte" von der Polizei in Deutschland erfaßt, 118.973 Delikte (53,6%) betrafen Cannabis und Zubereitungen (Gras und Hasch), davon waren 66.937 Fälle (56,3% aller Cannabisdelikte oder 30,2% aller "Rauschgiftdelikte") reine konsumbezogene Delikte (allgemeine Verstöße nach § 29 BtMG), das heißt Besitz von kleineren Mengen zum Eigenverbrauch. Nur etwa jedes fünfte Delikt (20,5%) betraf Heroin.

Drei Jahre später, im Jahre 2002 wurden 250.969 "Rauschgiftdelikte" von der Polizei in Deutschland erfaßt, 141.281 Delikte (56,3%) betrafen Cannabis und Zubereitungen (Gras und Hasch), davon waren 100.779 Fälle (71,3% aller Cannabisdelikte oder 40,2% aller "Rauschgiftdelikte") reine konsumbezogene Delikte (allgemeine Verstöße nach § 29 BtMG mit Cannabis), das heißt Besitz von kleineren Mengen zum Eigenverbrauch. 34.354 Delikte betrafen den Handel und Schmuggel mit respektive von Cannabisprodukten (24,3% aller Cannabisdelikte oder 13,7% aller "Rauschgiftdelikte"). 3.949 Fälle betrafen die illegale Einfuhr von nicht geringen Mengen an Cannabisprodukten und 2.199 Fälle den illegalen Anbau von Cannabispflanzen. Nur etwa jedes sechste Delikt (16,9%) betraf Heroin.

Graphik 14: Erfaßte Delikte – Zeitreihe: Anteil Cannabis in Prozent

Berechnet auf Basis der Daten von: BKA: Rauschgiftjahresbericht 2002, Wiesbaden 2003, Tab. 1 und Tab. 2; BKA: PKS 2002, Wiesbaden 2003, Tab. 1, Schlüsselzahlen 7300, 7318, 7328, 7338 und 7341; BKA: PKS-Zeitreihe 1987 bis 2002, Wiesbaden 2003, Schlüsselzahlen 7300, 7318, 7328, 7338 und 7341; BKA: Lagebericht Rauschgift – Kurzdarstellung (1995 bis 2000), Wiesbaden 1996 bis 2001, Tab.: Sicherstellungen
Die Daten bis 1994 umfassen die allgemeinen Verstöße, den Handel und Schmuggel und die Einfuhr nicht geringer Mengen, die Daten ab 1995 zusätzlich die Fallzahl der Sicherstellungen von Cannabispflanzen.


Ziele des Gesetzgebers waren bei Einführung der Straftatbestände des Betäubungsmittelgesetzes der Schutz der Volksgesundheit, der Familie und insbesondere der Jugend. 20 * Man ging davon aus, daß der Konsum von Drogen – darunter auch Cannabisprodukten – die Gesundheit ihrer Verbraucher in erheblichem Maße gefährde. Diesen Gefährdungen sollte mit einem umfassenden Umgangsverbot und einer ebenso umfassenden Pönalisierung begegnet werden. 21 *

Ende der 80er Jahre und zu Beginn der 90er Jahre stellten immer mehr Richter und Politiker die immer wieder behauptete Tatsache in Frage, daß das Verbot von Cannabisprodukten tatsächlich positive Auswirkungen auf die Gesundheit des einzelnen Konsumenten oder gar auf die Volksgesundheit im Ganzen habe. Verschiedene Bundesländer als auch die Bundestagsfraktion der SPD brachten Gesetzentwürfe ein zur Entkriminalisierung der zum Cannabiskonsums notwendigen Vorbereitungshandlungen wie z.B. Erwerb und Besitz (in geringen Mengen). 22 * Im Rahmen der Vorlagebeschlüsse aus den Jahren 1992 und 1993 des Landgerichts Lübeck 23 * und des Landgerichts Frankfurt am Main 24 * wurde bereits seinerzeit umfassend dargelegt, daß im konkreten Vergleich zwischen der Droge Alkohol einerseits und der Droge Cannabis anderseits das Gefährdungspotential bei Alkohol erheblich größer ist. In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1994 mußte das Bundesverfassungsgericht feststellen, daß sich die von Cannabisprodukten ausgehenden Gefahren aus damaliger Sicht als wesentlich geringer darstellten, als der Gesetzgeber bei Erlaß des Gesetzes angenommen hatte. 25 * Aufgrund all dieser Gegebenheiten wurde die systematische Repression gegenüber Cannabiskonsumenten in einigen Bundesländern zu Beginn der 90er Jahre nicht mehr so konsequent durchgeführt wie zuvor. Der Entscheid der Bundesverfassungsgerichtes im Jahre 1994, daß das Cannabisverbot verfassungskonform sei, setzte der leicht liberalisierten Phase gegenüber Cannabiskonsumenten ein Ende. Auch der im Jahre 1998 erfolgte Regierungswechsel brachte keine Änderung in der Cannabispolitik, obwohl sowohl die SPD als auch Bündnis 90/Die Grünen vor der Wahl sich deutlich für eine Liberalisierung ausgesprochen hatten. Seit 1998 nahm die Zahl der jährlich erfaßten Tatverdächtigen wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz um 16,3% zu. Die Anzahl der Tatverdächtigen wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz im Zusammenhang mit Cannabis nahm im gleichen Zeitraum um 22,3% und die Zahl der Tatverdächtigen wegen allgemeiner Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz im Zusammenhang mit Cannabis (rein auf den Konsum bezogene Delikte) nahm um 24,6% zu. Die Progression der Repression war bei Cannabis stärker ausgeprägt als bei den anderen Betäubungsmitteln insgesamt und bei den auf den Konsum von Cannabis bezogenen Delikte nochmals stärker ausgeprägt.

Jahr Tatver dächtige insgesamt Tatver dächtige Cannabis T. allg. Verstöße Cannabis % Total % Canna bis
1998 177.170 109.694 76.157 43,0 % 69,4 %
1999 185.413 117.230 80.912 43,6 % 69,0 %
2000 202.291 129.706 89.742 44,4 % 69,2 %
2001 202.281 129.482 88.602 43,8 % 68,4 %
2002 205.962 134.155 94.892 46,1 % 70.7 %

Berechnet auf Basis der Daten von: BKA: PKS-Zeitreihe 1987 bis 2002, Tab. 20, Wiesbaden 2003, Schlüsselzahlen 7300, 7318, 7328, 7338 und 7341.
[Spalte 1: Jahr; Spalte 2: Tatverdächtige wegen Verstoßes gegen das BtMG insgesamt; Spalte 3: Tatverdächtige wegen Verstoßes gegen das BtMG im Zusammenhang mit Cannabis; Spalte 4: Tatverdächtige wegen auf den Konsum bezogene Delikte mit Cannabis; Spalte 5: Anteil in % Tatverdächtige wegen auf den Konsum bezogene Delikte mit Cannabis zu Tatverdächtige insgesamt; Spalte 6: Anteil in % Tatverdächtige wegen auf den Konsum bezogene Delikte mit Cannabis zu Tatverdächtige mit Cannabis insgesamt]


Der Schwerpunkt der Repression liegt somit in Deutschland nach wie vor eindeutig bei der Verfolgung der Cannabiskonsumenten. Junge Cannabiskonsumenten sind von der polizeilichen Fahndung besonders betroffen. Ein Grund für den Schwerpunkt der polizeilichen Fahndung nach jungen Haschischrauchern liegt in der polizeilichen Kriminalstatistik. Wird dort eine jährliche Steigerung der sogenannten "Jugendkriminalität" sowie der "Rauschgiftkriminalität" ausgewiesen, lassen sich von den knappen Etats (Staatshaushaltspläne) leichter Geldmittel für die Aufstockung der Geldmittel für die Polizeibehörden durchsetzen. Drogenrepression hat somit aus polizeilicher Sicht durchaus auch einen merkantilistischen Aspekt.

 


1.5. Tatverdächtige – Konsumbezogene Delikte in Deutschland

Seit Jahrzehnten beschwören Politiker aller Couleurs gebetsmühlenartig, daß es bei der Umsetzung des Betäubungsmittelgesetzes und der Anwendung repressiver Maßnahmen in erster Linie darum gehe, die Händler von illegallisierten Betäubungsmitteln (Dealer) zu verfolgen, festzunehmen und vor Gericht zu stellen. Die Realität zeigt jedoch, daß die Konsumenten zunehmend weit mehr als die Dealer von der Polizei aufgegriffen werden. Von 1984 bis 1998 (während dieser Zeitspanne regierte die CDU/CSU- FDP-Koalition) stieg der Anteil der Tatverdächtigen, deren Delikte rein auf den Konsum bezogen waren (allgemeine Verstöße) um 7,4% von insgesamt 65,3% auf insgesamt 70,1%, somit jährlich im Schnitt um 0,5%. Von 1998 bis 2002 (während dieser Zeitspanne regierte die SPD in Koalition mit Bündnis 90/Die Grünen) stieg der Anteil der Tatverdächtigen betreffend allgemeine Verstöße um 2,4% von insgesamt 70,1% auf insgesamt 71,8%, somit jährlich im Schnitt um 0,6%. Im Jahr 2002 erreichte die Repression gegenüber den Konsumenten einen neuen Höchststand, das heißt, daß die Konsumenten stärker verfolgt wurden als je zuvor und in Relation dazu die Händler und Importeure weit weniger stark von der Repression betroffen waren. Bei Cannabis beispielsweise sank die Zahl der Tatverdächtigen Händler und Schmuggler von 2001 bis 2002 um 4,6% von 34.200 auf 32.641 und die Zahl der Importeure "nicht geringer Mengen" um 3,7% von 4.761 auf 4.593. Die Zahl der Tatverdächtigen wegen allgemeiner Verstöße stieg jedoch im gleichen Zeitraum um 7,1%.

Graphik 15: Tatverdächtige – Konsumbezogene Delikte (allgemeine Verstöße) in Prozent
Zeitreihe 1984 bis 2002


Berechnet auf Basis der Daten von: BKA: Rauschgiftjahresbericht 1999, Wiesbaden 2000, Tab. 9 und Tab. 10; BKA: PKS 2002, Wiesbaden 2003, Tab. 20, Schlüsselzahl 7300 und 7310


 


1.6. Repression – eine untaugliche Interventionsstrategie

Repression ist eine Verhinderungspolitik. Sie sollte eigentlich die Verfügbarkeit und den Konsum von Drogen durch Verbot eindämmen. Rückblickend kann jedoch festgestellt werden, das die illegalisierten Drogen trotz stetig steigender Repression nahezu flächendeckend erhältlich sind und von Millionen von Menschen konsumiert werden. Die Repressionspolitik führte jedoch zur gesellschaftlichen Ausgrenzung der Drogenabhängigen mit der Folge einer sozialen Verelendung, zur Steigerung der Kriminalität und zur Spaltung der Gesellschaft. Repression ist somit keine vernünftige Interventionsstrategie (Intervention = Einmischung oder Maßnahme zur Verhinderung von etwas; Strategie = genauer Plan des Vorgehens, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen; Interventionsstrategie = gezielte Maßnahme zu Verhinderung von etwas).

Trotz der zunehmenden Repressionsmaßnahmen konsumieren immer mehr Menschen illegalisierte Drogen. 1980 hatten gerade einmal 14,4% der 18-24jährigen Erfahrungen mit Cannabis, im Jahr 2000 waren es 38,1%. Die Entwicklung von 1980 bis 2000 zeigt, daß der Anteil der Menschen mit Cannabiserfahrung in dieser Altersgruppe in 20 Jahren um 165% zugenommen hat und heute weit mehr als das Zweieinhalbfache ausmacht als vor 20 Jahren. Die Werte in Zeitintervallen von jeweils fünf Jahren können der folgenden Tabelle entnommen werden.

Jahr 18-24jährige mit Cannabiserfahrung in %
1980 14,4 %
1985 13,0 %
1990 17,5 %
1995 24,9 %
2000 38,1 %

Datenquellen: Drogenaffinitätsstudie 2001 (BZgA 2001);
Repräsentativerhebung 1997 und 2000 (Kraus und Augustin 1998 und 2001). Die Angaben beziehen sich auf Westdeutschland respektive auf die alten Bundesländer.


Die 12-Monats-Prävalenz (hat innerhalb der letzten 12 Monate Cannabis konsumiert) der 18-39jährigen hat sich innerhalb von zehn Jahren mehr als verdoppelt. 1990 lag die 12-Monats-Prävalenz in dieser Altersgruppe bei 4,9%, im Jahr 2000 bei 10,6%.

Jahr 18-39jährige 12-Monats-Prävalenz %
1990 4,9 %
1995 8,8 %
2000 10,6 %

Datenquellen: Drogenaffinitätsstudie 2001 (BZgA 2001);
Repräsentativerhebung 1997 und 2000 (Kraus und Augustin 1998 und 2001). Die Angaben beziehen sich auf Westdeutschland respektive auf die alten Bundesländer.


Die Verbotspolitik und die mit ihr einhergehenden Repressionsmaßnahmen sind offensichtlich kein geeignetes Instrumentarium, um dem Drogenkonsum Einhalt zu gebieten. Das Betäubungsmittelgesetz in seiner derzeitigen Form muß als untauglich für das angestrebte Ziel, den Drogenkonsum sowie die Verfügbarkeit von Drogen zu verhindern, eingestuft werden.

 


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20
BT-Drs. 10/665
21
Vgl. RegE zum BtmG BT-Drs. 8/3551 S. 23 f
22
Vgl. auch den Gesetzesentwurf der Landesregierung Rheinland-Pfalz vom 21.01.1993 BR-.Drs. 58/93; vgl. auch den Gesetzesentwurf der Landesregierung Rheinland-Pfalz vom 21.01.1993 BR-.Drs. 58/93; vgl. Gesetzesentwurf der SPD-Fraktion im Bundestag BT-Drs. 13/6534
23
Vorlagebeschluß des Landgerichts Lübeck – Jz. - 713 Js 16817/90 StA Lübeck - 2 Ns (Kl. 167/90)
http://www.eve-rave.net/abfahrer/download/eve-rave/mzdr104.pdf
Vgl. NJW 1992, 1571 ff.
24
Vgl. Strafverteidiger 1993, S. 77, 81
25
BVerfGE 90/145 – Cannabis – Beschluß des Zweiten Senats vom 9. März 1994
http://www.eve-rave.net/abfahrer/download/eve-rave/mzdr103.pdf