DrogenGenussKultur |
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2. Der Begriff SuchtAbgleitet ist der Begriff der Sucht ursprünglich von dem gemeingermanischen Adjektiv siech (krank) beziehungsweise dem Verb siechen (krank sein). Und noch bevor siech im Spätmittelhochdeutschen von dem Wort krank abgelöst wurde, wurde es besonders für den ansteckenden Zustand der Aussätzigen gebraucht, weshalb siech und siechen nicht nur eine Wortsippe mit Sucht bilden, sondern auch mit dem Wort Seuche. 10 Auch wenn von dieser Wurzel her die zeitgenössisch nicht selten provozierte Assoziation der Sucht mit Ansteckung, Dahinsiechen und einer außerordentlichen Dramatik ein wenig Plausibilität erfahren mag, so behauptet Sebastian Scheerer 11 doch wohl zu recht, daß Sucht bis zum 16. Jahrhundert die generelle Bezeichnung für Krankheit gewesen ist. Einige dieser damals gebildeten Krankheitsbegriffe sind uns auch heute noch präsent, so etwa die Schwindsucht, die Fallsucht, die Tob- oder die Wassersucht. Seit dem 16. Jahrhundert wurde der Begriff nahezu vollständig durch den der Krankheit verdrängt und hatte, wenn er dennoch gebraucht wurde, eher eine ironische, metaphorische oder auch spöttelnde Konnotation. Zudem, so glaubt Scheerer, 12 sollte der Begriff bald auch stärkere moralische Unwerturteile ausdrücken, so etwa in Begriffen wie Geldsucht, Gewinnsucht, Zanksucht oder Rachsucht. Allerdings ist es die Frage, ob in solchen Begriffen tatsächlich auf die Wurzel siechen zurückgeriffen wurde (wie Scheerer behauptet), oder ob bei einigen dieser Bildungen nicht doch das Wort suchen Pate stand (wie der DUDEN es teilweise für wahrscheinlich hält). 13 Aber wer auch immer bei solchen Streitigkeiten recht behalten mag, richtig ist wohl, daß als Sucht in alter Zeit jede Krankheit bezeichnet wurde - außer der Sucht (in unserem heutigen Verständnis) selbst. Dies änderte sich wirklich grundlegend erst im 19.Jahrhundert. Hatte man etwa die Trunksucht zuvor eher als Laster oder verkorkste Leidenschaft bewertet, so begann sich die öffentliche Bewertung nun allmählich zu verändern:
Wie bereits erwähnt, gerieten mit dem Alkohol auch andere Substanzen ins Visier. Dies erklärt sich zum einen aus der Tatsache, daß das 19. Jahrhundert die Zeit der großen Entdeckungen und großen Erfindungen in Chemie und Medizin war: 1804 entdeckte Friedrich Wilhelm Sertürner als erster die Mekonsäure, aus der er im Anschluß das Opiumalkaloid Morphin extrahierte und in den folgenden Jahren noch weitere Alkaloide. Ergänzt durch eine weitere Erfindung, die der Injektionsspritze durch Charles Gabriel Pravaz im Jahre 1864, sollten diese Alkaloide - und allen voran freilich das Morphin - entscheidende Beachtung in der europäischen Heilkunde finden, wurde doch durch diese neuartige Applikationsform die Wirkung des "konzentrierten Opiums" noch einmal intensiviert und beschleunigt. "Subkutan gespritztes Morphium entfaltete eben viel schneller die gewünschte Wirkung - insbesondere bei der Schmerzeindämmung - als Opiumtinkturen, die oral eingenommen oder auf die Haut aufgetragen werden." 15 1874 schließlich gelang dem Engländer Charles R. Alder Wright, im Rahmen einer Konstitutionsaufklärung des Morphinmoleküls, erstmals die Acetylierung des Morphins und damit die Erfindung des Diacetylmorphins. 1898 wurde Diacetylmorphin unter dem Handelsnamen Heroin auf den Markt gebracht [vgl. ausführlicher Michael de Ridder] 16 Ein anderes Beispiel für die im 19. Jahrhundert aufkommende Potenz der Chemie- und Pharmaindustrie ist die Entdeckung des Kokains. Nachdem Friedrich Gaedecke 1855 ein Extrakt der Coca-Pflanze gelungen war, vermutlich eine Alkaloidmischung, isolierte Albert Niemann dann im Jahr 1860 das Hauptalkaloid der Coca-Pflanze und gab ihm den Namen Kokain. 17 Zum zweiten herrschte im 19. Jahrhundert eine soziale und ökonomische Situation, die geprägt war von Armut, Not und extrem langen Arbeitstagen. Alkohol, Opiate, Arsen und andere Substanzen dienten unter solchen Bedingungen nur allzu oft der Verscheuchung des Hungers, der Ausbeutung der letzen Kraftreserven durch Betäubung während der Arbeit und dem Ausblenden des grauen Alltags nach Feierabend. Selbst Kindern blieb die Verabreichung nicht erspart. "Wo kindliche Bedürfnisse sich mit den Funktionsnotwendigkeiten des Arbeitstages nicht vertrugen, wurden die Kinder mit Opiaten ruhiggetsellt." 18 Die Konsumgewohnheiten, die in den Jahrhunderten zuvor den Konsum psychtroper Substanzen bestimmt hatten, waren verloren, und damit auch die schützenden kulturellen Konsummuster. Die Konzentrierung der Substanzen, die nicht nur aus Opium Morphin und aus Coca Kokain, sondern auch aus Wein Schnaps werden ließ, trug das übrige zur Verelendung großer Bevölkerungsgruppen bei. Es ist deshalb vielleicht nicht verwunderlich, daß sich der Begriff der Sucht seit dem 19. Jahrhundert immer mehr einengte auf das zwanghafte Verhalten gegenüber bestimmten Rausch- und Betäubungsmitteln. Zentrale Definitionen stammten hierbei in jüngerer Zeit immer wieder von der Weltgesundheitsorganisation (WHO). 1952 etwa legte sie Sucht fest als einen "Zustand periodischer oder chronischer Intoxikation, die für das Individuum und für die Gesellschaft schädlich ist und hervorgerufen wird durch den wiederholten Gebrauch einer natürlichen oder synthetischen Droge", wobei für das Vorliegen einer Sucht das unbezwingbare Verlangen zum fortgesetzten Konsum, Dosissteigerung und psychische oder physische Abhängigkeit als charakteristisch galten. Scheerer 19 stellt zu dieser Definition fest, daß sie vor allem unter dem Eindruck einer Besorgtheit über den Opiatkonsum zustandegekommen sei und dementsprechend auf die meisten anderen Substanzen nicht recht paßte. "So wurden Kokain und Cannabis rechtlich als Suchtstoffe behandelt, obwohl sie die Definitionsmerkmale der Sucht gar nicht erfüllten. Auch die barbiturathaltigen Schlafmittel und die stimulierenden Amphetamine schienen in den fünfziger Jahren einerseits dringend einer intensiven Kontrolle zu bedürfen, andererseits aber nach dem damaligen Stand des Wissens keine Sucht zu verursachen." Die WHO habe daher 1957 zusätzlich den Begriff der Gewöhnung eingeführt, um den aufgetretenen Widersprüchen und Irritationen entgegenzutreten. Doch auch dieser Schachzug sollte nicht alle Ungereimtheiten bei der Begriffswahl beseitigen, so daß man sich bei der WHO 1964 dazu entschloß, auf den Begriff der Sucht gänzlich zu verzichten und statt dessen von Abhängigkeit zu sprechen und zwar in ihrer Zweigliedrigkeit als psychischer oder physischer Abhängigkeit. Drogenabhängigkeit wurde nun definiert als "ein Zustand, der sich aus der wiederholten Einnahme einer Droge ergibt, wobei die Einnahme periodisch oder kontinuierlich erfolgen kann. Ihre Charakteristika variieren in Abhängigkeit von der benutzten Droge [...]". 20 Im Anschluß unterteilte man sieben Stoffgruppen: 1. Morphine, 2. Barbiturate und Alkohol, 3. Kokain, 4. Cannabis, 5. Amphetamine, 6. Khat und 7. Halluzinogene. Auch diese Kategorisierung löste zahlreiche Irritationen aus. So fragte man sich, warum die in ihrem Gebrauch fast ausschließlich auf den Jemen beschränkte Khat-Pflanze als eigene Kategorie aufgenommen wurde; warum für die beiden Halluzinogene LSD und Cannabis gleich zwei getrennte Abhängigkeitskategorien eingerichtet wurden; und, nicht zuletzt, warum eigentlich Alltagsdrogen, wie etwa Nikotin oder Koffein, gar nicht erst thematisiert worden waren. Solche und ähnliche Fragen wurden von der WHO allerdings nicht erklärt, so daß Vogt/Scheerer 21 wohl zu recht konstatieren, alle Definitionen der WHO seien "Versuche der Verbindung der vorherrschenden wissenschaftlichen Ansätze zur terminologischen Klärung mit den Anforderungen der [...] internationalen Suchtstoffabkommen" gewesen. "Da immer mehr Substanzen deren strengen Kontrollen unterworfen wurden, mußte der Suchtbegriff immer weiter und notwendigerweise auch immer vager gefaßt werden." Wie dem auch sei, offiziell festgeschrieben wurde mit dieser Definition von 1964 die begriffliche Aufspaltung in psychische und physische Drogenabhängigkeit und mit ihr ein substanzzentriertes Verständnis des Suchtbegriffs, das aber in seiner Präzisierung so undeutlich war, daß diese Definition wohl als eine strategische gedeutet werden muß, mit der "endlich der Weg frei war zur Einbeziehung aller irgendwie verdächtigen Stoffe in zukünftige Kontrollabkommen." 22 Von offizieller Seite schien die Sucht demnach gegen den Begriff der Drogenabhängigkeit einfach ausgetauscht. Aber Totgeglaubte leben, wie wir wissen, manchmal noch lange. Oder erstehen, wie im Falle der Sucht, wieder auf. Und so begab es sich, daß sich die Anwendung des Suchtbegriffs in den 80er und 90er Jahren in einem Ausmaß verviefältigte, das man nur als Inflation der Sucht bezeichnen kann. Sucht und Abhängigkeit waren spätestens jetzt zu Synonymen geworden und begannen nun - durch ihre begriffliche Ausweitung auf die sogenannten "nichtstofflichen Süchte" - auch die Grundfesten der klein- und großbürgerlichen Intimität und Privatheit zu tangieren: das Fernsehen (Fernsehsucht) gleichermaßen wie das Geschlechtsleben (Sexsucht), das Essen (Freßsucht) ebenso wie das Viertele Wein und den Halben (Alkoholsucht), und nicht zuletzt auch noch die Schokoladenspitzen kapitalistischer Partizipation: die Arbeit (Arbeitssucht) und den Konsum (Konsumsucht).
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