DrogenGenussKultur |
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DrogenGenussKultur |
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Kaffe und Tabak aus kultur- und Sozialgeschichtlicher Sicht |
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8. AlltagskulturBei der Betrachtung der Integration von Drogen kommt vor allem in zweierlei Hinsicht ihren Wirkungen auf den Alltag der Menschen eine besondere Rolle zu. Der Begriff "Alltag" meint in diesem Sinne das tägliche Leben der Menschen, und zwar das des größten Teils einer Gesellschaft. Zwei Schwerpunkte bieten sich dabei an. Zum Einen geht es um die Aus- und Verbreitung des Gebrauchs der Drogen, das heißt, wo und wann die Drogen im größten Teil der Bevölkerung genossen wurden, oder anders ausgedrückt, zum Allgemeingut wurden. Das erfordert auch der gesellschaftlichen Schichtung der damaligen Zeit in die drei Stände Adel, Bürgertum und einfache Leute (Handwerker, Bauern, Arme) Rechnung zu tragen sowie nach dem Verbrauch in den einzelnen Ständen zu fragen. Daneben erscheint ein Gesichtspunkt sehr relevant, nämlich die Frage danach, welche Auswirkungen der Konsum der Drogen auf die Gestaltung des Alltags hatte. Bedenkt man die Rollen von Drogen und ihren starken Einfluß als kulturelle Faktoren und Medien innerhalb menschlicher Kommunikation, wundert es nicht, daß mit dem Aufkommen von Kaffee und Tabak auch neue soziale Umgangsformen und Verhaltensweisen entstanden, die auch heute noch aktuell sind. Kaffee und Tabak hatten großen Einfluß auf die Gestaltung geselligen Lebens und menschlicher Beziehungen im 17. und 18. Jahrhundert. 198
8.1. KaffeeDie ersten Menschen, die in Europa den Kaffee regelmäßig genossen, waren gut situierte Angehörige des bürgerlichen Standes. In den meisten Fällen waren es Händler, aber auch Wissenschaftler, besonders Mediziner mit Beziehungen in den Orient, über die sie die damals rare Droge bezogen. Diese Gruppen besaßen großes Selbstbewußtsein durch ihre erworbene Bildung oder ihr selbstverdientes Vermögen. Sie waren gleichzeitig auch die Innovationsgruppe der sich bildenden bürgerlichen Gesellschaft, aber auch der Wissenschaften. Die schon erwähnten englischen Gelehrten William Harvey und Francis Bacon sind ein Beispiel für diese ersten Konsumenten in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Bei ihnen lernten andere direkt den Trank kennen oder sie erfuhren von ihm aus ihren lobenden Schriften. Die Quellen sprechen zwar kaum darüber, aber es scheint so, daß vor der Eröffnung der ersten Kaffeehäuser das Getränk von Eingeweihten privat genossen wurde, so beispielsweise in Wien. Sein Gebrauch war aber längst nicht allgemein verbreitet, sonst hätten die neugegründeten Kaffeeschenken nicht einen relativ hohen Werbeaufwand mit Probeausschank und Aufklärungsschriften führen müssen. 199 In die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts fällt die Öffentlichmachung des Kaffees. Zum einen erlangte er allgemeine Bekanntheit im privaten Kreis, zum anderen gründete man überall in Europa die ersten Kaffeehäuser. Die ersten Gründungen dieser Art in London nach 1652 hatten einen immensen Erfolg. Die Zahl der "Kaffeeschenken" ging wenige Jahre später schon in die Tausende, wogegen auch die Bestrebungen des Königs Charles II. nichts ausrichten konnten. Mit diesem öffentlichen Ausschank war das Getränk jedem zugänglich. Dazu kommt noch, daß er zu recht niedrigen Preisen ausgeschenkt wurde, also eigentlich für jedermann erschwinglich war. So wurde der Kaffee nach seinem stärkeren Bekanntwerden in England zuerst wohl von Bürgerlichen aber auch den unteren Klassen, also Handwerkern usw. getrunken. 200 In Frankreich hinterließ der Besuch des osmanischen Gesandten 1669 am Hof zu Paris großen Eindruck und hier integrierte sich der Kaffee auch in den adeligen Kreisen genauso schnell, wie im aufstrebenden Bürgertum. 201 In Deutschland lief diese Entwicklung erst mit einiger Verspätung an, was nicht nur die Erstgründungen von Kaffeehäusern im späten 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts beweisen. Auch im privaten Kreis lernte man das Kaffeetrinken und den Kaffe überhaupt hier wohl nicht vor der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts kennen. So schrieb Stephan Blancardus 1705 "Es ist kaum 40 Jahr, daß man diesen Tranck bey uns gebrauchet hat". 202 Auch die Deutsche Encyclopädie von 1794 unterstützt diese Aussage: "Es sind ohngefähr hundert Jahre, daß man dieses Getränk in Deutschland kennen lernte. Ohngefähr vor zwei Menschenaltern fieng es an in den Städten, besonders des nördlichen Deutschlands, allgemein zu werden. Aber erst seit einem Menschenalter gewöhnte sich der gemeine Mann in einzelnen deutschen Provinzen daran, es drang der Kaffe sogar aus den Städten in die Dörfer, wurde das tägliche Getränke der Armen wie des Bemittelten." 203 In diesem Zitat wird zum einen deutlich, daß sich der Kaffee zunächst in den damaligen Ballungszentren etablierte, wo auch die aufgeschlossensten und fortschrittlichsten Menschen wohnten und dann einige Zeit benötigte, um auf dem Land Bekanntheit zu erlangen. Kennzeichnend für die Kaffeegeschichte ist, daß es sehr lange dauerte von den ersten Nachrichten bis zum ersten Gebrauch. Danach aber ist eine geradezu explosionsartige Ausbreitung zu verzeichnen gewesen. Obwohl die Quellen mit Zeitangaben nicht so genau umgehen, kann man davon sprechen, daß der Kaffeegenuß in Deutschland um 1730 allgemein bekannt war und praktiziert wurde. "Heut zu Tage ist solcher Tranck auch bey uns sehr wohl bekannt, und in solche Gewohnheit gerathen, daß er fast täglich von jedermann getrucken wird." 204 Innerhalb der gesellschaftlichen Schichtung strahlte der Kaffee auch in Deutschland von der Mitte nach unten und nach oben. Die adeligen Höfe lernten ihn in der Regel erst kennen und schätzen, wenn sein Gebrauch sich in ihrem Territorium schon eingebürgert hatte. Dabei muß man bedenken, daß der Kaffee oft schon zuerst in die unteren Schichten vorgedrungen war: "Es ist bekannt genug, wie häufig der Kaffe nicht allein von der höheren, sondern auch von der niedrigsten Menschenklasse getrunken wird." 205 Erst nachträglich im Zusammenhang mit der vor allem wirtschaftlich motivierten Einschränkungspolitik versuchte man Kaffee in die Luxuskategorie zu potenzieren. Zudem sah man es nicht gerne, wenn das Getränk, das man in einem prachtvollen, höfischen Trinkzeremoniell genoß, auch in den unteren Schichten Furore machte. 206 Die Ärmeren tranken im 18. Jahrhundert sicherlich auch nicht jeden Tag Kaffee, oft nur an Sonn- und Feiertagen. In der Woche behalf man sich mit billigerem Tee oder Ersatzkaffee, der ja infolge der wirtschaftlichen Erwägungen gesucht und erfunden wurde. Daß dem Kaffee allgemein eine hohe Aufmerksamkeit gezollt wurde, kam schon bei der Beschreibung der Auseinandersetzungen zur Sprache. Nicht nur in den expliziten Schriften widmete man sich diesem Thema. Auch Lexika und ähnliche Werke gaben ihm viel Raum, so Zedlers Werk von 1733 insgesamt 12 Seiten und die Deutsche Encyclopädie von 1794 sogar 19 Seiten. Im privaten Bereich bildeten sich in der Folge soziale und kommunikative Verhaltensweisen einer neuen Art heraus. Diese muß man als Zeichen einer neuen Art von Geselligkeit und kommunikativem Austausch sehen. Das aufstrebende Bürgertum schaffte sich neue Umgangsformen und eine Besuchskultur im Zusammenhang mit dem Kaffee. Besonders in Deutschland beeinflußte der Kaffee stark den privaten Alltag. So entwickelte sich aus dem bürgerlichen Nachmittagskaffee das Kaffeekränzchen und überhaupt das nachmittägliche Kaffeetrinken. Schon aus dem Jahr 1700 sind uns aus Hamburg, Leipzig und Berlin Beschreibungen von Damenkaffeekränzchen überliefert. Besonders für Frauen bot sich eine Gelegenheit der Droge zu frönen und sich untereinander zu treffen. Denn die Atmosphäre im Kaffeehaus war für viele weibliche Zeitgenossen des 18.Jahrhunderts zu anrüchig. Abb. 20: "Caffee-Kräntzlen"
Kupferstich von Martin Engelbrecht, um 1735
Abb. 20: "Caffee-Kräntzlen" Kupferstich von Martin Engelbrecht, um 1735 Beim Kaffeekränzchen traf man sich um Neuigkeiten auszutauschen, über Zeitprobleme zu debattieren, zusammen zu spielen und Kontakte zu pflegen oder speziellen Interessen, wie der Musik nachzugehen. Dabei redete man natürlich auch über den Kaffee und genoss ihn vor allem. 207 Einen guten Eindruck davon gibt das schon oft erwähnte "Gespräch" von 1704, auch wenn es rein fiktiven Charakter hat. 208 Die Kaffeekränzchen hatten mitunter fast den Charakter spezieller Zirkel und erstreckten sich auch auf bestimmte Standes- und Berufsgruppen. Die Wichtigkeit des privaten Kaffeetrinkens führte in gutsituierten bürgerlichen als auch in adeligen Haushalten sogar zur Anlage eines eigens dafür eingerichteten Zimmers, dem Boudoir. Dieser private und sehr intime Raum zwischen Schlafgemach und den restlichen Räumen gelegen, diente vor allem den Damen zum Rückzug für ein Tässchen Kaffee und zum Empfang sehr nahestehender Personen. In der Folge bekam der Kaffee im 18. Jahrhundert eine Zeichenzuschreibung, die sich auch auf den sexuellen Bereich erstreckte. Die Einladung einer Dame auf ein "Köpchen Coffee" hatte dieselbe Zeichenhaftigkeit, wie heute ein Glas Sekt. Man machte damit als Mann sein Interesse fast eindeutig deutlich. 209 In den Haushalten wurde es Mode, Besuchern einen Kaffee anzubieten, natürlich "echten". Noch ein wichtiger Aspekt auch unseres heutigen Lebens kam im 17. und 18. Jahrhundert in den Alltag. Der Morgenkaffee als Beginn des Tages und Muntermacher. Dies geschah nicht nur wegen der bloßen muntermachenden Wirkung des Kaffees nach dem Schlaf, es wurde bei Gutsituierten Sitte, Gäste zur Morgenvisite zu empfangen. 210 Die Wirkung des Kaffees auf den Alltag setzte sich auch ins Magische fort. Besonders im 18. Jahrhundert erfreute sich das Wahrsagen aus dem Kaffeesatz großer Beliebtheit, so daß es unter anderem 1762 in Hamburg verboten wurde. 211 Obwohl in Deutschland die Zahl der Kaffeehäuser verglichen mit Frankreich, Holland oder England sehr gering war, kam im öffentlichen Bereich den Kaffeehäusern auch hier eine große Bedeutung als eigenständige bürgerliche Institution zu. Sie dienten vor allem als Treffpunkte und öffentlicher Raum zur Kommunikation und zum Zeitvertreib und trieben damit die Entwicklung eines individuell-politischen Verstandes entscheidend voran. Diesen Zweck erfüllen sie auch heute noch. Darüber hinaus hatten sie eine herausragende Bedeutung für das beginnende Presse- und Zeitungswesen, das hier Raum fand. Abb. 21: Deutsches Kaffeehaus
anonymer Stich, ca. Ende des 17. Jahrhunderts
Abb. 21: Deutsches Kaffeehaus anonymer Stich, ca. Ende des 17. Jahrhunderts Da ein Kaffeehaus nicht bloß Kaffee, sondern auch Spiel, Unterhaltung und Bildung anbot, besaß es eine gesellschaftliche Katalysatorfunktion. Interessierte Leser fanden Lexika, Zeitungen und Zeitschriften zu ihrer Verfügung. Intellektuelle trafen sich im Kaffeehaus um Ideen auszutauschen und zu entwickeln. Hier entstand auch die erste eigenständige bürgerliche Musik zur Unterhaltung der Gäste. Außerdem gaben die Kaffeehäuser den sich herausbildenden Clubs, Vereinen und Gesellschaften Raum sich zu treffen und ihren Interessen nachzugehen. Somit stellten die Kaffeehäuser im Alltag ein aufklärerisches, literarisches, künstlerisches, politisches und unterhaltsames Kommunikationszentrum dar. 212
8.2. TabakAuch beim Tabak fällt die außerordentlich schnelle Verbreitung auf. Wenn schon 1556 Suhler Bauern Tabak anpflanzten, muß auch ein Bedarf danach bestanden haben. Auch in England kannte man das Kraut im 16. Jahrhundert schon und zwar über die Verwendung als Heilpflanze hinaus. Es muß dort so allgemein gewesen sein, da es spezielle Konsumorte gab. So berichtet Busch aus dem Jahre 1585 "(...) daß es eben sowohl Tabackshäuser als Bier- und Weinschenken, hin und wieder in den Städten giebt." 213 In der gesamten deutschen Bevölkerung hat sich der Tabak mit besonderer Intensität im Dreißigjährigen Krieg verbreitet. Wegbereiter waren vor allem die umherziehenden Soldaten, die die Droge auch in die ländlichen Gegenden und entlegendsten Dörfer brachten. "Einige Compagnien Engländer brachten im Jahr 1620 die Gewohnheit des Tabackrauchens nach Zittau. (...) 1631 wurde das Tabacksrauchen zuerst zu Leißnig in Meißen durch die schwedischen Kriegsleute bekannt." 214 Nachdem der Tabak von heimkehrenden Seeleuten aus der Neuen Welt mitgebracht und in Europa bekannt wurde, warden die Soldaten und die unteren und vor allem mittleren Gesellschaftsschichten seine Hauptverbreiter. Dabei besaß das aufstrebende englische Bürgertum um 1600 eine Schlüsselrolle. In England riefen besonders die wohlhabenden jungen Leute den Zorn des Königs hervor 215 , obwohl er auch beklagte und befürchtete, daß die Ärmeren Tabak benutzten. Er warf ihnen sogar vor, den Tabakgenuß in die Gesellschaft gebracht zu haben: "Nun ists ein rechter unächtiger und unerbarer Ursprung/ der den Toback den bäwrischen Leuten zuerst bekandt und hernach unter uns offenbar und gemein gemacht". 216 Im 17. Jahrhundert schon zog sich der Gebrauch des Tabaks durch sämtliche Stände und Schichten Europas. So berichtet Johann Jacob Chr. von Grimmelshausen (1622-1667): Abb. 22: Titelbild der Flugschrift
"Der Teutsche Taback-Trinker" Nürnberg, 17. Jahrhundert
Abb. 22: Titelbild der Flugschrift "Der Teutsche Taback-Trinker" Nürnberg, 17. Jahrhundert "Ich sah ihn essen, trinken und schnupfen, gehen durch alle Stände, von Fürsten an bis auf die Bettler." 217 Auch Frauen war es erlaubt zu rauchen, was sie auch taten, bis dies in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verpönt wurde. 218 Für das tägliche Leben brachte der Tabaksgenuß zunächst völlig neue Formen des Drogenkonsums mit sich, die man vorher nicht kannte: das Rauchen und das Schnupfen mit allen zugehörigen Utensilien und kulturellen Verhaltensweisen. Darin bestand auch der größte Einfluß des Tabaks auf den Alltag. Sein Konsum zog sich durch alle Gesellschaften Europas. Der Konsum des Tabaks unterstützte dabei die Herausbildung von zwangloser Geselligkeit untereinander. Man traf sich im privaten Bereich, um zu rauchen und dabei zu entspannen, sich auszutauschen und natürlich zu genießen. Im 18. Jahrhundert bildeten sich Tabakscollegien und Raucherzirkel, in denen sich die Männer trafen um dem Tabak zu frönen und Neuigkeiten auszutauschen. Ein Vergleich mit den Kaffeekränzchen bietet sich an. 219
Abb. 23: Tabakladen in Amsterdam, 1669 In Frankreich entstanden um 1700 besondere Lokale für Freunde des Tabaks, die "Tabagies". Diesen Namen gebrauchte man in Deutschland allgemein für Wirtshäuser, in denen geraucht wurde. 220 Zudem boten die Tabaksläden im 18.Jahrhundert einen Treffpunkt für die Herren um sich zu unterhalten, aber auch um zu spielen. 221
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