DrogenGenussKultur |
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DrogenGenussKultur |
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Kaffe und Tabak aus kultur- und Sozialgeschichtlicher Sicht |
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1. Über Sinn, Nutzen und Methodik der geschichtlichen Untersuchung"Bei der Beschäftigung mit der Geschichte geht es nicht darum, zu wissen, wie es einmal war, sondern zu erfahren, wo wir herkommen." 2 Dieses Zitat begleitet den Verfasser schon seit vielen Jahren bei historischen Betrachtungen und Analysen. Es steht am Anfang dieser Arbeit, weil es ausdrückt welches Ziel, aber auch welche Motivation geschichtlicher Forschung zugrunde liegt. Dies erscheint besonders wichtig, da sich auf dem Gebiet der Sozialarbeit, die ja gegenwärtige und zukünftige gesellschaftlich-soziale Problemlagen als Hauptthema bearbeitet, nur wenige Arbeiten mit der Vergangenheit beschäftigen, und wenn dann meistens mit der Geschichte der Sozialarbeit als historischer Abriß. Eben deshalb steht obiges Zitat am Anfang, da es hier gewissermaßen um "vorwärtsgerichtete Geschichtsbetrachtung" geht, die vergangene Prozesse und Ereignisse kritisch untersucht und auswertet, um dieses Wissen bei unklaren Fragen und Problemen der Gegenwart und Zukunft nutzbar zu machen. Der Vorteil dabei ist, daß bei vergangenen Dingen, die ja schon geschehen sind, mittels genauerer Untersuchung Ursache und Wirkung klar werden und Spekulationen wie bei heutigen Prozessen, deren Ergebnisse und Folgen naturgemäß schwer einschätzbar sind, entfallen. Man kann also auf schon gemachte Erfahrungen aus ähnlichen Situationen der Vergangenheit zurückgreifen und Erkenntnisse daraus in heutige Überlegungen und Lösungsvorschläge mit einfließen lassen. Dies bedingt natürlich auch eine Kenntnis der heutigen Problematiken. Dabei soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, daß dies ein leichtes Unterfangen ist, da sich Geschichte oft nicht so einfach gestaltet, wie dies ja auch das gesamte menschliche Leben tut. Sie ist multifaktorell, vielschichtig und prozeßhaft. Auch will ich nicht behaupten, daß Geschichte und Ereignisse sich periodisch wiederholen und ohne Weiteres vergleichbar sind. Trotzdem tauchen immer wieder Grundprobleme und -situationen in der menschlichen Geschichte auf, die fast ständig präsent sind. Dazu gehört die Drogenproblematik, da Drogen und deren Konsum die Menschen schon von frühester Zeit an begleiten. Einige Forscher sehen den Drang, sich in andere Bewußtseinszustände zu versetzen schon als das fünfte Grundbedürfnis des Menschen an. 3 Soweit möchte ich hier jedoch gar nicht gehen. Aber man kann sagen, daß der Drogenkonsum bzw. der Umgang mit Drogen eine Konstante in der menschlichen Geschichte ist. 4 Gerade darum macht es Sinn, sich historisch mit dem Drogenproblem zu beschäftigen, um aus den Erfahrungen und den Ergebnissen des Handelns unserer Vorfahren zu lernen für unsere eigene Zukunft. Die historische Analyse in dieser Arbeit versteht sich gewissermaßen als "Weitwinkelblick" auf die Geschehnisse und Prozesse um die psychotropen Stoffe Kaffee und Tabak. Es geht nicht nur einfach darum, den geschichtlichen Verlauf ihrer Integration aufzuführen. Dieser soll vielmehr vor dem gesellschaftlich-kulturellen Hintergrund dargestellt werden. Dazu ist es nötig, Begriffe, wie Kultur und Integration und Rollen von Drogen zu klären; zum Teil mußten die Begriffe neu definiert werden, wie im Falle von "Drogenintegration", da sie in der Literatur zwar oft auftauchen, aber ohne Klärung ihres Inhalts. Im Bezug auf die vorliegende Arbeit gilt es noch speziell auf einige wichtige methodische Punkte einzugehen. Der erste betrifft die zeitgenössischen Originalquellen. Diese und die Zitate daraus wurden natürlich den Aufgabenstellungen des Themas entsprechend ausgesucht und ausgewertet. Dabei muß man sich immer wieder klar machen, daß es in der damaligen Zeit ein heutiges Verständnis der Drogenproblematik noch nicht gab, geschweige denn heutige Begrifflichkeiten dafür. Die herausstechenden und umstrittenen Punkte waren damals aber auch schon existent, nur wurden sie anders formuliert und benannt. Da die Arbeit ja einen Bezug zur Gegenwart beinhaltet, lag es nahe, nach Parallelen der Geschehnisse und Prozesse zu suchen, wofür die alten Quellen sehr interessant und aufschlußreich waren. Da es um die gesellschaftliche Integration von Drogen geht, spielt die Betrachtung der Quellen im Kontext von Kultur und Kulturbegriffen sowie unter dem Gesichtspunkt vom Bewußtsein der Prozeßhaftigkeit dieser Vorgänge eine besondere Rolle. Schon hier möchte ich sagen, daß die Ähnlichkeiten in der Art und Weise der Auseinandersetzungen und der Argumentationen stellenweise frappierend sind, bis hin zum Beispiel zu einer genauen Definition von "Mißbrauch" aus dem 18. Jahrhundert, die sich fast mit der heutigen deckt. 5 Die Sichtung der zeitgenössischen Quellen erstreckte sich nicht nur auf Werke, die sich explizit mit Kaffee und Tabak befassen, sondern auch auf allgemeine Bücher wie Lexika und Enzyklopädien. Hierbei kommt es auf die gesamtgesellschaftliche Sichtweise auf die zwei Drogen an, wie auch um den Stellenwert, den sie und die Auseinandersetzung um sie hatten. Deutlich wird dies beispielsweise durch die Tatsache, daß allein der Begriff "Kaffee" in der Deutschen Encyclopädie von 1794 6 auf 26 Seiten abgehandelt wird, wobei die zahlreichen zusammengesetzten Worte mit "Kaffee" hier nicht mit eingerechnet sind. Drogen als Kulturfaktor spielen eine große Rolle, vor allem auch auf dem Gebiet der Kunst – geben uns doch kulturelle Artefakte, die meist in künstlerischer Form auftreten, wertvolle Erkenntnisse zur Thematik. Deswegen erstreckt sich die Betrachtung historischer und zeitgenössischer Literatur auch auf rein literarische Werke wie Erzählungen und Poesie. Dabei machte ich nicht an Bachs Kaffee- und Tabakskantate halt, sondern wählte aus einer Fülle an überliefertem Quellenmaterial einiges aus, das die Bedeutung des Themas in der damaligen wie auch in der heutigen Zeit deutlich aufzeigt. Die heutige Literatur zur Kulturgeschichte des Kaffees und des Tabaks bietet eine Fülle von Quellen mit vielen Ansatzpunkten, die inhaltlich für die Arbeit genutzt werden konnten. Allerdings handelt es sich meist Werke, die einen geschichtlichen Abriß bieten, ohne den gedanklichen Hintergrund der Drogenproblematik zu thematisieren. Diese Werke stammen eben oft von Kulturhistorikern. 7 Die Werke, die sich wissenschaftlich mit dem Drogenproblem beschäftigen, behandeln Tabak und Kaffee in vielen Fällen nur am Rande, um zu zeigen, daß es früher hierzu Auseinandersetzungen gab, meistens jedoch nicht als Kernuntersuchung, wie diese Arbeit es versucht. 8 Als besonders wertvoll erwiesen sich jene Werke, die Drogen in historischer Kontinuität und vor kulturellem Hintergrund behandeln. 9 Diesen Autoren folgt die vorliegende Arbeit sowohl auf inhaltlicher Ebene wie auch im Bezug auf die Grundintention, ein Bewußtseins mit vielerlei Betrachtungsebenen für das Problem zu schaffen. Noch ein Wort zur Art der Geschichtsbetrachtung: Wie schon gesagt, es geht um einen gesamtgesellschaftlichen Prozeß. Insbesondere lege ich die Gewichtung bei der Abhandlung der Zeitumstände und deren Zusammenhang mit der Drogenintegration deshalb weniger auf Einzelereignisse und bloßem Aufzählen der geschichtlichen Fakten, sondern mehr auf die vielschichtige Sichtweise, die über grobe Prozesse hinaus Einzelereignisse ebenso berücksichtigt wie Betrachtungen aus psychologischer, wahrnehmungstechnischer, soziologischer und rechtshistorischer Sicht, um nur einige zu nennen. Damit möchte ich zum einen die Prozeßhaftigkeit der historishen Gegebenhaftigkeiten deutlich machen, zum anderen geht es um das vielschichtige Gesicht der Geschichte von Menschen und deren Handeln. Dies soll aber auch dem Fachgebiet der Sozialwissenschaften, in dem diese Arbeit geschrieben wird, gerecht werden. Denn der Autor faßt Sozialarbeit eben als interdisziplinäre Wissenschaft auf, die in einem komplizierten kulturellen und gesellschaftlichen Gefüge agiert.
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