"Gesundheit, Krankheit und Sucht
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Zur Selbstbestimmung gehört die Möglichkeit, sein Leben frei gestalten zu können und sich somit
auch für Rauschzustände zu entscheiden; auch wenn dies nicht den Idealen der Leistungsgesellschaft
entspricht. Das Betreiben von Suchtprävention zeigt, daß Drogenkonsum als Krankheit klassifiziert
wird. Der Gesundheitsbegriff an sich steckt jedoch in einem Dilemma, er kann nur als Mittel oder
Zweck gesehen werden. Wird Gesundheit einerseits interpretiert als Mittel, das die Integration
in bestehende Verhältnisse gewährleisten soll, so ist sie eben simpel herstellbar. Gesundheit ist
hier nichts weiter als die Eigenschaft von "Leistungsträgern", die mit dieser Zusatzqualifikation
serienmäßig ausgestattet worden sind. Bläst man andererseits Gesundheit zum Ziel an sich auf,
dann wird behauptet, Gesundheit sei Abwesenheit von Sucht. Sucht sei verursacht durch bestimmte
mißliche soziale Zustände oder psychischen Dispositionen. Was Sucht und Gesundheit sind, obliegt
der Deutungsmacht des gesellschaftsplanerischen Fachmenschen.
Heroin führt automatisch zur Sucht
Das Bild in der Öffentlichkeit vom Heroin konsumierenden Junkie, der alle vier Stunden einen
neuen Schuß braucht, ist nicht zuletzt medial geprägt. Nach den Mythen, macht jeder Heroinkonsum
sofort süchtig. Dieser unterstellte Automatismus ist jedoch durch Untersuchungen längst widerlegt.
Genauso wie bei Alkohol ist vielmehr eine Unterscheidung zwischen selbst bestimmten und individuell
kontrollierbarem Heroinkonsum einerseits und -mißbrauch anderseits wichtig. Auch bei Alkohol gibt
es Suchtphänomene, diese entstehen jedoch nicht automatisch durch einen Genuß von Alkohol,
sondern durch seine mißbräuchliche Verwendung. Mißbräuchliche Verwendung meint hier, daß der
Konsument nicht mehr in der Lage ist, Bedingungen und Umfang des Konsums zu steuern. Untersuchungen
legen dar, daß Heroinkonsumenten, die Heroin nicht mit Fremden konsumieren, die Spritze nicht
tauschen, konstante und bewährte Bezugsquellen haben sowie nicht in Kontakt mit Süchtigen stehen,
sehr wohl einen kontrollierten Umgang mit Heroin pflegen.
Heroinkonsum führt zu Krankheit und physischer Verelendung
Auch diese Behauptung ist medizinisch widerlegt. Aber verbreitet werden soll dies nicht. Dies
zeigt etwa die harsche Zurechtweisung eines Ärztefunktionärs, der öffentlich erklärte, nicht
der Stoff Heroin mache krank, sondern allein die Bedingungen seines Konsums. Dies möge ja den
Tatsachen entsprechen, so seine Kritiker, die Öffentlichkeit aber darüber aufzuklären, sei
unklug und verantwortungslos. So ist bekannt, daß die Opiate im Gegensatz zu Alkohol und Nikotin
zu den am wenigsten mit unerwünschten oder toxischen Wirkungen belastenden Arzneimitteln gehören.
Die wenigen zu beobachtenden Nebenwirkungen sind Verstopfung und ein Nachlassen der sexuellen
Appetenz. Das durch die Medien geprägte Bild des heruntergekommenen Junkies widerspricht dieser
Feststellung nur scheinbar. Todesfälle, akute und chronische, oft zum Tod führende Infektionen
wie Blutvergiftung, Leberentzündungen, Vereiterung und Entzündungen der Haut, Blutgerinnselbildung
und nicht zuletzt die HIV-Krankheit sind ausschließlich: Folge mangelnder Kenntnis der tatsächlich
zugeführten Menge Heroin, Folge unsteriler bzw. unsachgemäßer Injektion, sowie Folge toxischer
Verunreinigungen des Stoffes (Chinin, Strychnin, etc.).
Abgesehen von den o.g. Faktoren ist eine der häufigsten Todesursachen von
Junkies Selbstmord. Dieser wird nicht zuletzt vom Staat aufgrund der aufgezwungenen Konsumbedingungen
mitverschuldet. Für die Junkies wurde Heroin erst zum gesundheitlichen Problem, als der Staat
per Verbot in die Konsumbedingungen eingriff. Der Staat sah die seit der Studentenbewegung
aufkommende Drogenkultur als Gefahr für die ökonomische Verwendbarkeit der Gebraucher. Drogen,
Aussteigermentalität, Gesellschaftskritik, Mißtrauen gegenüber staatlichen Aktionen und Ablehnung
gesellschaftlicher Strukturen waren mehrere Aspekte eines Kulturbegriffes. Der Staat will jedoch
die gesetzliche Durchsetzung eines "moralisch richtigen" Lebensstils. Unterdrückt wird hierbei, was
Rausch auch ist: Ausdruck persönlicher Freiheit, über sein eigenes Leben zu bestimmen. Das
Recht auf Rausch, auf eigene Erfahrungen und im absoluten Extremfall auch das Recht auf Selbstschädigung
ist und bleibt Menschenrecht. Wo der Staat jetzt merkt, daß etwa die Haschkonsumenten auch
gesellschaftlich prima funktionieren und es vorbei ist mit breiten jugendlichen Protestbewegungen,
wird zumindest für diese Droge das Verbot faktisch aufgehoben.
Die Heroinkonsumenten müssen jedoch den Preis zahlen für die Schaffung eines
Schwarzmarktes und das Verbot eines legalen Marktes. Sie müssen unter dem Verdikt der Illegalität
das Hundertfache des Produktionspreises bezahlen. Der auf dem Schwarzmarkt zu erwerbende Stoff
ist zumeist gestreckt (reiner Heroinanteil ca. 10 %). Für den maßlos überteuerten Stoff muß
der Konsument sich prostituieren, stehlen und dealen. Das Geld reicht häufig nicht mehr für
ausreichend Kleidung und Nahrung oder für eine Wohnung. Auf ärztliche Versorgung muß allein
schon aus Angst vor Entdeckung des Drogenkonsums verzichtet werden. Der Beschaffungsdruck wird
nicht zuletzt durch repressive polizeiliche Maßnahmen verschärft. Diese Faktoren machen den
Heroinkonsum dazu, was er ist: eine vom Staat verordnete Todesstrafe.
Für das Ende einer tödlichen Politik
Sinnvoll wäre die Freigabe aller derzeit kriminalisierten Rauschmittel und ihre Abgabe in
lizenzierten Drogenläden, in denen nicht die Konsumenten, wohl aber die Qualität und Preise
der Waren der Kontrolle unterliegen. Zu einem Drogenboom käme es nicht; Erfahrungen mit der
Legalisierung von Haschisch in den Niederlanden belegen das Gegenteil. Ziel ist es nicht, daß
möglichst Wenige Drogen nehmen, sondern daß denen, die sich berauschen wollen, dies unter
Bedingungen möglich ist, die frei sind von Verfolgung und erzwungener Selbstschädigung.
Nirgendwo vermochte eine Prohibition die Verbreitung von Substanzen zu verhindern,
wohl aber die Bedingungen für ihren möglichst gesundheitszuträglichen wie lustvollen Gebrauch.
Die Freigabe unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen stellt keine "Utopie", sondern
eine schlichte Notwendigkeit dar."
gogo@lira-online.de