Impressionen aus der Technokultur
zu Drug, Set und Setting in Berlin

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2. Historische Entwicklung in Berlin

In Berlin haben sich die kulturellen Rahmenbedingungen in den letzten Jahren ganz erheblich verändert. Nach dem Fall der Mauer standen plötzlich viele Freiräume zur Verfügung, in denen sich Kulturelemente des Undergrounds entfalten konnten. Wenige Jahre später wurde Berlin als Hauptstadt des Techno bezeichnet und genoß weltweit als kreative Kulturmetropole hohes Ansehen. Mit der kontinuierlich wachsenden Kommerzialisierung der Szene einhergehend mit einer zunehmend repressiveren Drogenpolitik ab Mitte der 90er Jahre verflog der innovative Geist, der zuvor die Technoszene in der Stadt beflügelte, und machte einem von der Werbebranche hofierten Trend Platz, der zwar modisch geprägt war, jedoch kaum noch Raum für neue gestalterische Experimente bot. In Berlin hatte Ende der 90er die Technokultur durch die veränderten Rahmenbedingungen ihren Zenit längst überschritten. Das optimistische und dynamische Lebensgefühl der jungen Menschen hatte deutlich an Vitalität und Frohsinn verloren und entsprechend haben sich auch die Gepflogenheiten beim Drogenkonsum verändert.

 

2.1. Berlin 1987 – 750 Jahre Berlin – Feier getrennt in Ost und West

Gefeiert wurde dieses Jubiläum sowohl im Land West-Berlin als auch in der Hauptstadt der DDR. Zum Jubiläum wurden große Bauten eingeweiht, im Westen ein neu restaurierter Bahnhof am Zoo, im Osten ein Großplanetarium am Prenzlauer Berg. Das offizielle Berlin putzte sich heraus.

Namhafte Künstler und Politiker aus aller Welt beehrten die Berliner mit Konzerten und Reden. Wohl zu den legendärsten Veranstaltungen zählte der Auftritt von David Bowie im Tiergarten unweit der Mauer beim Brandenburger Tor. Tausende, vor allem junge Menschen aus dem Westteil der Stadt, pilgerten in den Park, um seinen Klängen zu lauschen, die von haushoch aufgetürmten Lautsprechern in alle Himmelsrichtungen übertragen wurden. Auch im Ostteil der Stadt fanden Tausende, vor allem Jugendliche aus der Hauptstadt, den Weg zum Brandenburger Tor und feierten auf der Prachtstraße Unter den Linden zwar räumlich getrennt, jedoch im Geiste gemeinsam mit den Fans im Westen. Als kurze Zeit später der Präsident der USA, Ronald Reagen vor dem Brandenburger Tor eine Rede hielt, war von einem gemeinsamen Lebensgefühl im Ost- und Westteil der Stadt wenig zu spüren, ja nicht einmal der Westen war in sich geeint. Kreuzberg wurde zu diesem Anlaß von der Polizei von den übrigen Bezirken völlig abgeriegelt (aus Sicherheitsgründen), so daß die Kreuzberger via Hauptstadt mit der Fernbahn nach Westberlin einreisen mußten. Der regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) begründete diese Maßnahme mit der Chaotenmentalität, die in der Szene in Kreuzberg vorherrschend sei und bezeichnete die Kreuzberger als "Antiberliner".

1987 wurde auch in der Bundesrepublik Deutschland und im Land Westberlin eine Volkszählung durchgeführt. Das Motto in Kreuzberg lautete jedoch: wir sind unzählbar. Dieses Motto wurde aktiv bei vielen Demonstrationen kundgetan, anläßlich derer es immer wieder zu äußerst heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Letztendlich gaben die Behörden nach. Kreuzberg war in der Folge das einzige Ausnahmegebiet Deutschlands in Sachen Strafverfolgung im Zusammenhang mit der Volkszählung – alle Kreuzberger gingen straffrei aus.

Am 2. Juni 1987 jährte sich auch die Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg durch den westberliner Polizeibeamten Karl-Heinz Kurras. Nicht nur junge Studenten, sondern auch bemerkenswert viele ältere Menschen gedachten in der Krummen Straße zwischen der Deutschen Oper und dem Stuttgarter Platz dem Opfer der Polizeigewalt. Da diverse überregionale Tageszeitungen in ihren Leitartikeln über die fatalen Folgen der Erschießung Ohnesorgs berichteten, kamen weit mehr Menschen als erwartet in die Krumme Straße zur Gedenkfeier, so daß von dort aus sich Tausende spontan zu einer Großdemonstration in Richtung Kurfürstendamm aufmachten – wenige Stunden später herrschte dort der Ausnahmezustand.

Die Stimmung im Westteil der Stadt war 1987 äußerst angespannt. Die Jugend war bei weitem mehr politisiert als heute. Von einem unglaublichen Freiheitsdrang beseelt suchten junge Szenegänger mit einer ausgeprägt erwartungsvollen Haltung die wenigen echt alternativen kulturellen Veranstaltungen (Special Events) wie Die Macht der Nacht auf. Bei solchen Anlässen wurde seinerzeit immer viel Haschisch geraucht, oft LSD geschluckt und manchmal wurden auch Zauberpilze in ritueller Art verzehrt. Ecstasy war damals nur in speziellen Szenen, die entweder zur Avantgarde der Subkulturen oder zu diversen Kreisen der Esoterik zählten, bekannt.

 

2.2. Die Acid-House-Szene und die Underground-Kultur vor der Wende

Ende der 80er Jahre öffneten die ersten Acid-House-Klubs in Berlin ihre Pforten, so die Turbine Rosenheim in Schöneberg und das UFO in der Köpenicker Straße in Kreuzberg. Die DJs, die dort seinerzeit auflegten, zählten wenige Jahre später zu den bekanntesten Persönlichkeiten ihres Berufes auf der Erde: Dr. Motte, Kid Paul, Tanith u.a.m. Acid-House belebte den Underground in Berlin und es entstand eine völlig neue Subkultur. Den ersten öffentlichen Auftritt dieser Subkultur organisierte der DJ Dr. Motte, indem er zur Feier seines Geburtstages die erste Love Parade, eine Demonstration für Frieden, Freude und Eierkuchen, auf dem Kurfürstendamm organisierte. Eine neue Szene begann sich zu formieren.

Gleich zwei Radiosender informierten damals die Jugendlichen in Berlin über die neuen kulturellen Strömungen. DT 64 sendete ein progressives, anspruchsvoll informatives Programm. Vor allem die Musiksendungen Parocktikum und Andere Bands wurden nicht nur in der DDR, wo der Sender beheimatet war, sondern auch in West-Berlin gerne gehört, da nicht nur Titel von Punk- und New-Wave-Bands gespielt wurden, sondern auch selten gehörtes aus dem Underground. Zudem war der Sender auch eine Plattform für anspruchsvolle gesellschaftskritische Diskussionsrunden. DT 64 hatte nicht nur in Berlin einen Kultstatus. Auf Radio 4 U (Radio for you), dem Jugendsender des Senders Freies Berlin (SFB), lief 1988 und 1989 regelmäßig ein House-Musik-Programm, das Monika Dietl gestaltete. Sie gab in ihren Sendungen kurzfristig Ort und Zeit der verschiedenen Underground-Parties bekannt und war somit eine Art Koordinationsstelle für das subkulturelle Leben in Berlin.

Dauertanz, Trance und ekstatische Zustände prägten die Parties der neuen Subkultur. Man ging immer häufiger gemeinsam feiern und es bildeten sich richtige Partyfamilien in der Szene. In den kleinen Klubs wurde vornehmlich Ecstasy konsumiert, da dieser Wirkstoff einen sehr empfänglich für die von einem pulsierenden Baß geprägte sequentielle House-Musik macht und zudem die Empathie stark befördert. Natürlich wurde auch immer viel Gras und Haschisch geraucht und manchmal auch LSD geschluckt. Speed und Kokain waren hingegen eher verpönt.

 

2.3. Die Entwicklung von Techno zum Mainstream nach der Wende

Nachdem in Berlin die Mauer für alle durchlässig geworden war und die Menschen nicht mehr trennte, herrschte Freude, Optimismus und Aufbruchstimmung in der Stadt. Es gab einen guten Grund zum Feiern. Parties waren angesagt. Leerstehende Fabrikhallen boten viele Freiräume, die Kultur, insbesondere Veranstaltungen ohne hohe Kosten, ermöglichten. DJs wie Wolle XDP aus der DDR und Westbam und Dick aus Münster (Westfalen) organisierten in Berlin große Raves. Das von Wolle und Thanith begründete X-tatic-Dance-Project initiierte ein innovativ- experimentelles Vorhaben, das durch seine Machart das Berliner Techno-Geschehen der nächste Jahre maßgeblich prägte. Nirgends wurde nach dem Fall der Mauer im wiedervereinigten Berlin so radikal gefeiert wie an den Tekknozid-Raves im ›Haus der Jungen Talente‹ in der Klosterstraße in Berlin Mitte. Tekknozid waren die ersten Parties, an denen mehrere Tausend Personen stundenlang ekstatisch tanzten und dabei bündelten sich Energien zwischen den DJs und den Tanzenden in einem zuvor nie gekanntem Maße. Die damit verbundene intensive Erlebnisqualität gab vielen eine neue kulturelle Identität und ein neues Selbstwertgefühl.

Auf diesem Konzept aufbauend begannen die Brüder Westbam und Dick in Berlin mit der Veranstaltungsreihe Mayday, wobei die erste Mayday nicht nur eine Tanzparty, sondern vor allem auch eine Demonstration zur Rettung des von der Schließung bedrohten Radiosenders DT 64 war, das heißt, einen echten politischen Anstrich hatte.

In den Jahren nach der Maueröffnung öffneten in Berlin eine ganze Reihe neuer Klubs ihre Pforten für die Raver, wobei einige weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt wurden und echten Kultstatus erlangten wie das Planet, der Tresor, der Bunker oder das E-Werk.

Hoffnungen auf eine gute Zukunft und rege schöpferische Phantasien beflügelten die immer größer werdende "Raving Society" in Berlin. Offenheit und der überall spürbare Drang durch neue Impulse angeregt zu werden sowie die unersättliche Lust am Feiern prägten in den frühen 90er Jahren das Erscheinungsbild der Techno-Szene an der Spree. Die Ausstrahlung dieser Szene verfehlte ihre Wirkung nicht und lockte immer mehr Menschen in die Stadt. Jahr für Jahr verdoppelte oder verdreifachte sich gar die Zahl der Teilnehmer an der Love Parade. Berlin war Mitte der 90er Jahre eine Techno-Metropole.

Zum Feiern wurden jede Menge Partydrogen konsumiert, vor allem Ecstasy, aber auch Zauberpilze, LSD und andere Psychedelika (die Seele erhellende Drogen). Da viele Raver oft mehrere Tage rund um die Uhr von Party zu Party pilgerten, wurde auch immer mehr Speed geschnupft, um den schier endlosen Tanzmarathon durchstehen zu können. Erst an der allerletzten After-Hour-Party wurde dann meistens nur noch Haschisch geraucht, um runter zu kommen und zu entspannen.

 

2.4. Der Kommerz und die Vertreibung aus den angestammten Klubs

Gemäß Mietvertrag vom 9. März 1993 zwischen der Treuhandanstalt Berlin, vertreten durch die Liegenschaftsgesellschaft der Treuhandanstalt mbH, vertreten durch die BBT Treuhandstelle des Verbandes Berliner und Brandenburgischer Wohnungsunternehmen GmbH als Vermieter und den Betreibern des E-Werk als Mieter hatten die Mieter monatlich 6.- DM pro Quadratmeter als Mietzins zu bezahlen. Zwei Jahre später, nachdem die Mieter weit mehr als eine halbe Million DM (genau 567.682.- DM) in den Ausbau und in die Sicherung des Mietobjektes investiert hatten, forderte die BBT Treuhand gemäß 3. Nachtrag zum Gewerbemietvertrag vom 21. Februar 1995 jeden Monat 50.- DM Mietzins pro Quadratmeter im Tanztempel (+733%).

Wenn Gewerkschaften die Löhne um drei oder vier Prozent erhöht wissen wollen, dann jammert sowohl der Arbeitgeberverband wie auch die Regierung und alle lamentieren, daß der Standort Deutschland gefährdet sei. Doch wenn die Mieten jedes Jahr um ein paar Hundert Prozent erhöht werden, dann sprechen die letztgenannten immer von freier Marktwirtschaft. Doch gerade diese von Geldgier getriebene freie Marktwirtschaft führte zum Aus zahlreicher Klubs in Berlin, da die Preise für den Eintritt und für die Getränke natürlich nicht entsprechend der geforderten Mieterhöhungen angehoben werden konnte. Klubschließungen und der Verlust von Arbeitsplätzen waren die Folge, ganz abgesehen von der Tatsache, daß dadurch die kulturelle Vielfalt in der Hauptstatt Deutschlands merklich an Glanz verloren hat. In gewissen Gegenden konnte man Ende der 90er Jahre eine regelrechte kulturelle Verödung beobachten. Wo einst die Partykultur pulsierte, stehen heute nicht selten neue übergroße Bürogebäude, die teilweise seit Jahren leer stehen.

Um dem Kostendruck entgegen zu wirken, mußten viele Klubbetreiber den Umsatz mit allen Mitteln steigern. Sie verwandelten die Tanztempel in Konsumtempel und animierten ihre Kundschaft mehr teure, das heißt hochprozentige, alkoholische Getränke zu konsumieren. Da Alkohol nur in geringen Mengen anregend wirkt, in größeren Mengen jedoch die Müdigkeit befördert, konsumierte in der Folge die Kundschaft auch zusehends mehr Amphetamin und Methamphetamin, da diese Substanzen einerseits lange wach halten und anderseits die subjektive Wahrnehmung der Alkoholwirkung unterdrücken. So führte die stetig zunehmende Kommerzialisierung großer Bereiche der Technoszene zu einer nachhaltigen Veränderung der gebräuchlichsten Konsummuster.

In zahlreichen Klubs wurde die Partystimmung aufgrund der veränderten Konsummuster so stark in Mitleidenschaft gezogen, daß vor allem die älteren Partygänger sich von der Szene abwendeten und fernblieben, da sie das einst für diese Szene typische friedfertige Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Partyfamilie vermißten. Viele vor allem sehr junge Partygänger, die erst nach Beginn der massiven Kommerzialisierung zur Szene gestoßen sind, konnten nie nächtelang an ekstatischen Parties feiern und kamen nie in den Genuß jener Hochstimmung, die Techno zu dem gemacht hatte, was es einmal war. Durch die Kommerzialisierung wurde Techno zum Mainstream und verkam dann immer mehr zur Popmusik der Jahrtausendwende und die meisten Klubs hatten weit mehr Gemeinsamkeiten mit bürgerlichen Diskotheken als mit echten Tanztempeln.

Da in den meisten sogenannten "angesagten" Klubs vor allem die Konsumenten von Alkohol, Speed und Kokain für die Stimmung auf der Tanzfläche und an der Bar tonangebend sind, ziehen sich die erfahrenen Psychonauten zusehends immer mehr in den Underground zurück und schaffen sich neue Foren als Basis für weitere kulturelle Entwicklungen und neue Rahmenbedingungen, um sich gemeinsam mit anderen ekstatisch in den Rausch zu tanzen. Durch diesen Trend bedingt kann der in den späten 80er und frühen 90er Jahre gesammelte Erfahrungsschatz aus der Partykultur (Genußkultur und insbesondere Drogengenußkultur) nur einem von der Anzahl her sehr begrenzten Personenkreis vermittelt werden.

 

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