Love Parade 2002
Weniger Besucher - erhöhtes Unfallrisiko
(Love Parade 1989-2002 und Street Parade 1992-2001 im Vergleich)

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2. Teilnehmerzahlen - Zeitreihe von 1989 bis 2002

Das Objekt der Begierde vieler Journalisten bei jeder Love Parade ist die 'Zahl des Tages' - alle wollen wissen, wie viele Raver dabei waren. Die Journalisten wollen wissen, ob es wieder einen neuen Teilnehmerrekord gegeben hat oder ob die Zahl der Fans rückläufig ist. Diese magische Zahl scheint für die Schlagzeilen viel wichtiger zu sein als die Stimmung auf der Parade.

 

2.1. Die Methode des Zählens

Bei Großveranstaltungen wird die Besucherzahl mit Hilfe von Luftbildern eruiert, wobei zusätzlich Bilder von Kameras, die an Häusern oder Fahrzeugen montiert sind, in die Berechnung miteinbezogen werden. Zur Berechnung der präzisen Besucherzahl sind außer den Aufnahmen aus der Luft und den stationären und mobilen Kameras am Boden genaue Kenntnisse der einzelnen Flächen, auf denen sich die Besucher aufhalten, nötig. Die Strecke der Love Parade vom Brandenburger Tor entlang der Straße des 17. Juni bis zum Ernst-Reuter-Platz ist beispielsweise genau vier Kilometer lang und im Schnitt 80 Meter breit, wobei in diesen Maßangaben die Breiten des Pariser Platzes, des Platzes am 'Großen Stern' und des Ernst-Reuter-Platzes bereits inbegriffen sind. Die eigentliche Grundfläche der Stammstrecke, auf der die Love Parade alljährlich zelebriert wird, umfaßt demnach eine Fläche von 320.000 Quadratmeter. Im statistischen Mittel haben auf einem Quadratmeter zwei bis drei Raver Platz, im Schnitt etwa 2,5 Raver pro Quadratmeter. Natürlich stellt man bei der Auswertung der Bilder fest, daß sich im direkten Umfeld des 'Großen Sterns' im dichten Gedränge eher vier Raver auf einem Quadratmeter befinden, in den Randbereichen der Straße des 17. Juni dagegen eher nur zwei, doch im Schnitt sind es 2,5 Raver pro Quadratmeter und somit, wenn die ganze Paradestrecke voller Menschen ist, insgesamt 800.000 auf der vier Kilometer langen Strecke.

Aus der Luft werden vom Hubschrauber aus die Lücken in der gigantischen Menschenmenge auf der Straße des 17. Juni gezählt und in ihrer Größe abgeschätzt und in Personenzahlen umgerechnet, die dann von der Idealzahl abgezogen werden. Hinzugezählt werden die Menschenmengen, die sich in den Seitenstraßen versammelt haben und all diejenigen, die sich auf den Wiesen im Tiergarten zum ruhen und entspannen befinden.

Die Fluktuation der Menschengruppen, die durch die Wanderbewegungen vieler Teilnehmer bedingt ist, kann zahlenmäßig schwer erfaßt werden. Dies gilt auch für die Gruppe derjenigen, die im Schatten der Bäume Schutz vor der direkten Sonneneinstrahlung gesucht haben und sich dort niedergelassen haben. Das heißt, auch mit modernster Technik und viel Erfahrung kann die Zahl der Teilnehmer an einer Großveranstaltung wie die Love Parade nur annähernd genau abgeschätzt werden, jedoch nie ganz genau bestimmt werden. 38 *

 

2.2. Anzahl der Teilnehmer an der Love Parade - Zeitreihe von 1989 bis 2002

Die Graphik 1 zeigt die jährliche Anzahl der Teilnehmer an der Love Parade gemäß Einschätzung der Veranstalter. Bis 1999 nahm diese Zahl stetig bis Sprunghaft zu und erreichte 1999 mit 1.500.000 ihren höchsten Wert und schrumpfte dann bis zum Jahr 2002 auf die Hälfte zusammen.

Graphik 1: Anzahl der Teilnehmer an der Love Parade (Veranstalterangaben)
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Graphik 2: Anzahl der Teilnehmer an der Love Parade (ab 1994 Polizeiangaben)
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Die polizeilichen Angaben zu den Teilnehmerzahlen sind in einigen Jahren identisch mit den Angaben der Veranstalter, in anderen Jahren weichen sie ganz erheblich davon ab. In den Jahren 1994 und vor allem 1995 stritten sich die Macher der Love Parade um den Status der Parade (Demonstration oder Straßenfest) mit dem damaligen Innensenator Dieter Heckelmann (CDU). Der Streit hatte zuletzt possenhafte Züge angenommen: auf der einen Seite der Innensenator, dem Unverständnis der heutigen Jugendkultur vorgeworfen wurde, auf der anderen Seite das Team der Love Parade um Matthias Roeingh alias DJ Dr. Motte, das zuletzt androhte, das weltweit beachtet Ereignis, zu dem 150.000 Techno-Fans erwartet werden, aus Prinzip. ausfallen zu lassen. Vor diesem Hintergrund sahen einige (und sehen einige auch heute noch) in der Tatsache, daß die Polizei nach der Love Parade 1995 eine nur halb so große Teilnehmerzahl bekanntgab wie die Veranstalter, einen von politischen Interessen geprägter Versuch, der Love Parade etwas von ihrem Glanz zu nehmen. Siehe hierzu auch Abschnitt 1.3.7 "Siebte Love Parade am 8. Juli 1995 in Berlin mit 500.000 Demonstranten."

In den Jahren 1996 und 1997 war der Status der Love Parade rechtlich geklärt und die Parade fand nicht mehr auf dem Kurfürstendamm, sondern im Tiergarten statt. Zudem war Heckelmann nicht mehr Innensenator. Dies führte zur Entspannung der Situation und Veranstalter und Polizei kamen bei der Zählung der Teilnehmer an der Love Parade zu übereinstimmenden Ergebnissen. Doch 1998, als der Streit um die Schäden im Tierpark eskalierte, zählte die Polizei gerade einmal 400.000 Teilnehmer, die Veranstalter sprachen von einer Million oder gar 1,1 Millionen - und dabei war der Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) unter den Teilnehmern an der Siegessäule zu sehen ...

 

2.3. Anzahl der Musikwagen an der Love Parade - Zeitreihe von 1989 bis 2002

Die Zahl der Musikwagen an der Love Parade nahm bei weiten nicht so stark zu wie die Zahl der Tänzer um die Wagen herum. Die Tänzer der allerersten Parade gruppierten sich um einen einzigen Musikwagen, im Jahr 2000 hatten die Tänzer die Auswahl zwischen 53 verschiedenen Musikwagen, kamen dafür aber bei weitem nicht so leicht in die Nähe der Musikwagen, da die Leute dicht gedrängt um dieselben herum tanzten.

Graphik 3: Anzahl der Musikwagen an der Love Parade (Veranstalterangaben)
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Ursprünglich wurden die Wagen von Clubs in Berlin gestaltet und an den Start der Love Parade gebracht. Später wurde das Erscheinungsbild der Musikwagen von Konzerne der Mode-, Tabak- und Getränkebranche sowie großen Medienanstalten geprägt. Die Konzerne suchten das Event-Marketing auf der Love Parade. Coca Cola, die ARD-Vorabendserie Marienhof, RTL 2, Langnese, Reynolds, Ford, Clairol, TD1, MTV, VIVA TV zählten unter anderen zu den Sponsoren aus den letzten Jahren. Die Sponsoren haben die Preise der Startgebühren für Musikwagen Jahr für Jahr immer mehr in die Höhe getrieben und die Veranstalter nahmen diese Preissteigerung auch gerne an. Die Plazierung von Wagen auf der Parade war somit ein recht teures Vergnügen geworden. Unabhängige Clubbetreiber konnten sich eine Teilnahme nicht mehr leisten. So lag beispielsweise die Stargebühr für ein Musikwagen im Jahre 1999 bereits über 4.000 Mark (2050 Euro). Miete, Ausstattung und Sicherung eines Musikwagens (extralanger Tieflader) kosteten leicht das Zehnfache. Es blieb somit der Wirtschaft vorbehalten, sich selbst und die Jugend vielfältig, jung, dynamisch und multikulturell darzustellen. Demzufolge war damit das Bild vom Prototyp des in der Techno-Szene involvierten Jugendlichen auf der Love Parade rein wirtschaftlich geprägt.

Da die Musikwagen immer größer und bombastischer in Erscheinung traten, zahlenmäßig jedoch nicht mit den Teilnehmerzahlen korrelierten, wurde das Gedränge um die Musikwagen herum immer größer und das reine Tanzvergnügen dadurch immer mehr eingeschränkt. Dieses Phänomen, das von vielen als Übel wahrgenommen wurde, wird auf der Graphik vier klar und deutlich veranschaulicht.

Graphik 4: Anzahl der Teilnehmer pro Musikwagen an der Love Parade
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Deutlich kann man an der Graphik vier erkennen, daß sich der Wandlungsprozeß der Love Parade von einer Szeneveranstaltung zu einer Kommerzveranstaltung im Zeitraum 1993 bis 1995 vollzog. In diesem zweijährigen Zeitraum hatte sich die Zahl der Teilnehmer pro Musikwagen verzwanzigfacht. Im Jahr 1993, als nur 700 Raver auf einen Musikwagen entfielen, war noch für jeden genügend Platz vorhanden, um sich beim tanzen frei zu bewegen und von einem Wagen zum anderen zu spazieren. Im darauffolgenden Jahr war dies nur noch mit gewissen Einschränkungen möglich und 1995 kamen viele Raver zu gewissen Zeiten keinen Schritt mehr vor oder zurück, weil die ganze Straße voller Menschen war, die dicht gedrängt nebeneinander standen und herumschauten, wo noch etwas mehr Platz für sie sein könnte.

Der Partyspaß an der Love Parade war bis und mit 1993 von einer völlig anderen Erlebnisqualität geprägt als 1995 und den folgenden Jahren.

 

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Rechenber, N. (2000): Love Parade 2000: Der Tag des Techno und seine schönsten Bilder - Der Mann, der in jedem Jahr die Raver zählt. Vom Hubschrauber aus wird hochgerechnet, in: Berliner Morgenpost vom 9. Juli 2000. S. 35
o.A. (2002): Mit Kameras Besucher zählen, in: Berliner Zeitung vom 15. Juli 2002